| PL-Newsletter 2015-05
Konzentration und Aufmerksamkeit, Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen - Ideen und Tipps für Eltern
Ursachen der Konzentrationsproblematik:
Das Urlaubsfoto einer jungen Reiterin im Straßenverkehr irgendwo in Frankreich, die reitend simst und dem Pferd mehr oder weniger die Führung überlässt, führt die Zuhörerinnen und Zuhörer mitten ins Thema. Hektik zuhause und in der Schule, Arbeitsverdichtung im Beruf und ständige Erreichbarkeit, Freizeitstress und die Anforderung, alles perfekt zu bewältigen, belasten Familien. Dabei ist belegt, dass Multitasking nicht ans Ziel führt, sondern das konzentrierte Erledigen von Arbeiten nacheinander.
Dieser Zeitgeist beeinflusst schon die Kleinsten. Schulen stellen, je nach Umfeld, bei ca. 30 - 70% der Schülerinnen und Schüler Probleme mit der Konzentrationsfähigkeit fest. Weit geringer, auf ca. 5%, schätzt die Wissenschaft die Anzahl der Kinder und Jugendlichen (zwischen 3 - 17 Jahren), die von ADHS betroffen sind. In diesem Zusammenhang unterscheidet Träbert zwischen "Konzentrationsschwächen" und "Konzentrationsstörungen".
"Konzentrationsschwächen, wie z. B. ADHS, scheinen erblich bedingt zu sein und nicht durch Erziehung herbeigeführt. Allerdings können ADHS-ähnliche Verhaltensweisen sehr wohl durch Erziehung erzeugt werden. Auch Einflüsse während der Schwangerschaft oder eine Frühgeburt können ursächlich sein. In solchen Fällen können Symptome häufig gemildert, aber nicht gänzlich geheilt werden.
"Konzentrationsstörungen" aufgrund eines Mangels an sensorischen Reizen werden beispielsweise durch Ergotherapie positiv beeinflusst. Bewusst gesetzte taktile Reize, sollen den frühen Mangel ausgleichen helfen und alle Sinne besser miteinander verbinden (Sensorische Integrität). Für Eltern bedeutet das: Weg mit dem iPad und raus in den Garten, auf die Rutsche, in den Sandkasten, auf das Klettergerüst und mit Matsch spielen.
Was ist "Konzentration"?
Träbert trifft Mütter und Väter gleich zu Beginn mit der Frage, wann sie ihr Kind das letzte Mal aufgefordert hätten: "Jetzt konzentrier dich doch endlich mal!" Dass solche Appelle in der Mehrzahl der Fälle fruchtlos bleiben, erklärt er mit den physiologischen Abläufen bei sinkender Konzentration, die nicht willentlich zu beeinflussen sind, wie z. B. das Absinken des Blutdrucks.
Wenn wir im Urlaub am Strand stundenlang ein spannendes Buch lesen, erbringen wir eine unwillkürliche Aufmerksamkeitsleistung, die nicht mit Konzentration zu verwechseln ist. Kinder bauen beispielsweise eine Sandburg oder betrachten versunken einen Käfer beim Krabbeln. Im Unterschied dazu bedarf es der Anstrengung, also der willkürlichen Aufmerksamkeit, wenn wir unser Handeln bewusst steuern, um zielgerichtet eine Situation zu bewältigen. Eine Konzentrationsleistung erbringen wir dann, wenn wir diese willentliche Aufmerksamkeit auf einen engen Bereich ausrichten (z. B. Kinder beim Hausaufgabenmachen) und so weit als möglich äußere und innere Störfaktoren (Geräusche aus der Umwelt, Gedanken usw.) ausblenden.
Die Zeitspanne, in der Schulkinder diese Konzentrationsleistung erbringen, ist durchaus begrenzt und variiert je nach Alter. So kann sich ein Grundschulkind in den ersten beiden Klassen (5-7 Jahre) ca. 15 Minuten und in den Klassen 3 und 4 (8-9) ca. 20 Minuten konzentrieren. Zehn- bis Zwölfjährige schaffen es ca. 25. Minuten und Ältere ca. 30 Minuten. Diese Zeitspannen variieren stark, je nachdem ob die Aktivitäten als spannend oder langweilig empfunden werden. Danach muss der "Akku" neu aufgeladen werden.
Voraussetzungen für Konzentration
Träbert spricht von der "Dreifaltigkeit der Konzentration": frische Luft, Wasser und Bewegung. Ohne diese drei Dinge kann sich kein Kind gut konzentrieren. Leider sieht die heutige Kindheit häufig anders aus. Frei nach dem Motto "Man ist was man isst!" gehört die tägliche gesunde, abwechslungsreiche Ernährung dazu. Bedenkt man, dass Zucker nicht zu den Lebensmitteln gehört, die unserem Körper zugeführt werden müssen, dann sind die festgestellten Durchschnittswerte von ca. 400 Gramm, die ein Kind pro Tag vor allem durch Getränke zu sich nimmt, erschreckend.
Zu viele Schulkinder sitzen den überwiegenden Teil des Tages: in der Schule, an den Hausaufgaben, vorm Fernseher, vor der Spielekonsole usw. Die fehlende Bewegung führt zu Übergewicht und Rückenproblemen. Haben Fernsehen, Konsole und PC es ins Kinderzimmer geschafft, werden sie auch benutzt. Das bedeutet länger sitzen und häufigerer Medienkonsum, der meist mit weniger Schlaf einhergeht. Vielen Eltern ist nicht bewusst, welche weitreichenden Auswirkungen eine solche Medienstandortwahl auf ihre Kinder hat. Schon im Grundschulalter werden deshalb häufig Schlafstörungen diagnostiziert.
Deshalb sollen Eltern dem Medienkonsum ihrer Kinder Grenzen setzen. Als Faustregel gibt Träbert an, dass die Anzahl der mit Spielen verbrachten Stunden größer sein soll, als die mit Medien. Eltern, die darauf Wert legen, tun schon einiges für die Konzentrationsfähigkeit ihrer Kinder. Mindestens ebenso wichtig sind die Beziehungen innerhalb einer Familie. Kinder, die sich angenommen und aufgehoben fühlen entwickeln ein Grundvertrauen zu den Menschen in Ihrer Familie. Dieses Fundament brauchen sie für eine gesunde Entwicklung.
Tipps für Eltern
Am Nachmittag stellt der Referent seine "geschärfte Sage" vor, mit der der dicke Baum "Hausaufgaben" zügig zersägt, sprich: erledigt werden kann. Er betont dabei den planvollen Umgang mit Hausaufgaben und Lernen. Eltern sind beispielsweise dafür verantwortlich, dass Hausaufgaben zu einem festen Zeitpunkt, an einem ruhigen, geeigneten Arbeitsplatz gemacht werden. Sie sollen sie keinesfalls für ihr Kind erledigen, sondern ihm Anerkennung für seine Anstrengung zollen, auch wenn sie in ihren Augen nicht perfekt gelungen sind. Hier ist der Prozess, wie intensiv hat sich die Schülerin oder der Schüler mit den Aufgaben beschäftigt, wichtiger als das Ergebnis.
Ein Wochenplan sorgt für Überblick. Neben den Schulstunden werden dort auch die sonstigen Nachmittagsaktivitäten eingetragen und durch die Zeit für Hausaufgaben und die regelmäßige Vorbereitung auf Klassenarbeiten ("heimliche Hausaufgaben") ergänzt. Zeigt der Plan zu wenige Zeitfenster fürs Spielen, soll er entrümpelt werden.
Nicht jedes Kind hat einen Schreibtisch im Kinderzimmer oder möchte alleine dort Hausaufgaben machen. Gerade junge Grundschulkinder brauchen am Anfang den Kontakt zu einer Bezugsperson in ihrer Nähe. Dann ist es sinnvoll, so Träbert eine "ambulante Arbeitskiste" mit allen notwendigen Büchern und Materialien zu packen, die an den Arbeitsplatz mitgenommen wird. Dort wird auch der Schulranzen oder die Tasche für den nächsten Tag gerichtet.
Älteren Schülerinnen und Schüler sollen in Entscheidungen, die sie betreffen, verstärkt einbezogen werden. Beispielsweise können sie entscheiden, ob sie mit oder ohne Musikhören lernen wollen. Hier braucht kein Eltern-Kind-Konflikt zu entstehen. Musik kann sich durchaus positiv auf das Erledigen von Routineaufgaben auswirken. Eltern und Kind treffen dann eine Vereinbarung darüber, dass sie nach ca. vier Wochen besprechen, welche Auswirkungen Musikhören auf die Hausaufgabenerledigung hat und ziehen entsprechende Konsequenzen.
Die richtige Mischung aus Anspannung und Entspannung
Der Referent aktivierte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Spielen und Konzentrationsübungen, die sie auch zuhause anwenden können. Damit soll der Kreislauf in Schwung gehalten werden und die Konzentrationsfähigkeit steigen. Lesen im Gehen, Schreiben am Stehpult (Bügelbrett), Sitzen auf einem Luftkissen oder einem ergonomisch beweglichen Schreibtischstuhl können Bewegungsanlässe bieten. Die Schreibtischplatte mit der Lieblingsfarbe des Kindes zu beziehen oder einen Nachdenk-Blickpunkt als Kreis in der Lieblingsfarbe im Blickfeld zu befestigen, hilft dem Kind, sich zu zentrieren.
Träbert übte mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kleine Konzentrationsübungen, die ritualisiert in den Tagesablauf zuhause und in der Schule eingebaut werden und als nichtsprachliche Aufforderung den gewünschten Effekt erzielen können: innere Ruhe, die der Konzentration dient. Während Klassenarbeiten können solche Minipausen (z. B. 1 Minute Pause alle 5 Minuten ohne aufzufallen) dafür sorgen, dass auch bei konzentrationsschwachen Schülerinnen und Schülern die Konzentrationsfähigkeit länger erhalten bleibt und Aufgaben erfolgreicher erledigt werden. Solche Übungen tragen so aussagekräftige Namen wie "Locker vom Hocker", "Stuhldrücken" oder "In der Ruhe liegt die Kraft".
Jeder kennt Situationen, in denen er "ein Brett vor dem Kopf" hat. Hier helfen die Erste-Hilfe-Tipps für Schülerinnen und Schüler, um Denkblockaden zu lockern. Auch sie können, ohne groß aufzufallen, bei Bedarf während einer Klassenarbeit angewendet werden.
Vom "Hausfriedensbruch" zu den "Wellnesshausaufgaben"
Nur geringen Unterhaltungswert bietet das Vokabellernen. Es wird eher als "Hausfriedensbruch" in Familien wahrgenommen und wenig enthusiastisch praktiziert. Auch hier gibt Träbert Tipps, wie es besser gehen kann. Wie, berichtete mir schon in Alzey eine Mutter kurz nach dem damaligen Elternfachtag, die die Methode sofort bei ihrem Filius ausprobiert hatte. Sie beschrieb folgendes: "Ich nahm einen Softball und warf ihn meinem Sohn gleichzeitig mit der Frage nach einer Englischvokabel zu. Er antwortete und warf den Ball zurück. Dieses Spiel spielten wir, bis eine Vokabel falsch war oder er sie nicht wusste. Dann warf ich ihn mit dem Softball ab. Wir hatten einen Heidenspaß und er wollte das ganze Wochenende mit meinem Mann und mir Vokabeln lernen! In diesem Beispiel kommt das Vokabellernen Träberts "Wellnesshausaufgaben" sehr nahe und verdeutlicht, wie wichtig eine entspannte Atmosphäre zuhause für das erfolgreiche Lernen ist.
In der Abschlussrunde beantwortete der Referent offen gebliebene Fragen bevor der 5. Elternfachtag endete. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten ein Rundumpaket zum Thema "Konzentration und Aufmerksamkeit": Hintergrundwissen, alltagstaugliche Tipps für planvolles Handeln bei den Hausaufgaben und Anregungen für kleine Rituale, die zuhause und in der Schule den leeren Akku der Kinder wieder aufladen können.
Gabriele Weindel-Güdemann
Weitere Informationen:
http://eltern.bildung-rp.de/elternfortbildung/elternfachtag.html